Einige Opposition treibt CDU zur Weißglut

Bericht vom Sonderkreistag am 12.02.2014 zum Thema Jugendhilfe

Am 9.10.2013 beschloss der Görlitzer Kreistag eine überplanmäßige Ausgabe von 3,7 Mio. Euro für das Jugendamt. Dies war Anlass für einen Antrag zur Durchführung eines Sonderkreistages zum Thema Jugendhilfe, denn einerseits steigen die Ausgaben für Hilfen zur Erziehung und andererseits wurde und wird massiv bei der präventiven Jugendarbeit gekürzt. Dieser Antrag wurde mit großer Mehrheit angenommen. Außerdem beantragte am 18.12.2013  unsere Fraktion erfolgreich die Erhöhung des Planansatzes für präventive Jugendarbeit um 250.000 Euro im Nachtragshaushalt 2014 gegen den erbitterten Widerstand der CDU.

Am 12. Februar fand der Sonderkreistag statt.
Das große Interesse an diesem Thema zeigte sich an gut besetzten Besucherstühlen. Zunächst stellte die Verwaltung den Prozess der Jugendhilfeplanung, die Wirkungsweise von präventiver Jugendarbeit und die Entwicklung der Hilfen zur Erziehung dar. Danach hätte man meinen können, dass eigentlich alles in Butter ist. Frau Drewke vom Jugendamt erklärte ausführlich, wie der Bedarf an Jugendhilfe ermittelt wird und dann kam der entscheidende Satz: Der Rahmen ist gesetzt. Sprich – Bedarf hin und her, am Ende entscheidet das zur Verfügung stehende Geld. Und da müssen zuerst die Hilfen zur Erziehung bedient werden und wenn etwas übrig bleibt, geht es in die präventive Jugendarbeit. Auf die haben aber alle Kinder und Jugendlichen (das sind ca. 58.000 im Landkreis) einen Anspruch, nicht nur die mit Problemen! Und weil das Geld immer wieder neu verteilt wird und nie ausreicht, gibt es unter den freien Trägern Gerangel, das am Ende bis vor das Gericht führen kann.

Dieses Problem des z. T. unfairen Umgangs miteinander sprach Heike Krahl (DIE LINKE) als Mitglied des Jugendhilfeausschusses an. Sie sagte:
„In der Jugendhilfelandschaft, nicht nur unseres Landkreises gibt es zwei gegensätzliche Tendenzen: Während die teuren Hilfen zur Erziehung steigen, wird in der Jugendarbeit, der Jugendverbandsarbeit, der Jugendsozialarbeit und im erzieherischer Kinder- und Jugendschutz gekürzt.  Die Ursachen sind vielfältig.  Eine allgemein anerkannte und statistisch belegte Ursache liegt in der problematischen Sozialstruktur des Landkreises. Die führt auch im Landesvergleich zu besonders hohen finanziellen Belastungen im Jugendhilfebereich – trotz Bevölkerungsrückgang… Im Juni 2013 erfuhr ich im Unterausschuss Jugendhilfeplanung des Jugendhilfeausschusses, dass die Fachkraftförderung von 49 auf 44 Vollzeitstellen reduziert werden soll.
Damit mussten freie Träger wieder Kürzungen vornehmen. Das ging bei einigen an die Substanz. Mehrere Vorhaben, Projekte wurden gestrichen, ganze Einrichtungen  geschlossen, so 2010 der Schacht 8 in Weißwasser, 2010 der Stadtjugendring in Görlitz, 2013  in Weißwasser das Jugendhaus WCB, der Jugendtreff C4 Oberland oder ganz aktuell in Niesky das Jugendzentrum HOLZ. Etliche Projekte wie soziale Gruppenarbeit, der offene Treff Weinhübel und der Jugendclub Ludwigsdorf wurden seit Jahren nicht mehr gefördert…
Es wird nicht nach Bedarf gefördert. Oft hörte ich den Satz: mehr Geld steht nicht zur Verfügung.
Im Unterausschuss Jugendhilfeplanung und im Jugendhilfeausschuss selbst führte diese Entwicklung zu strittigen Debatten.
Letztlich wurde im Jugendhilfeausschuss am 24.6.2013  mehrheitlich ein Antrag verabschiedet, der die Einstellung von zusätzlichen 220.000 Euro für die Fachkraftförderung forderte.
Der Landrat, als Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses, legte den Antrag nicht dem Kreistag vor.
Zwar mussten im Nachtragshaushalt kurze Zeit später schlappe 3,7 Mio Euro mehr für die Hilfe zur Erziehung eingestellt werden. Auf Nachfrage im Hauptausschuss wurde aber auch zugegeben, dass die 220.000 Euro für die Fachkraftförderung nicht im überarbeiteten Planansatz des Jugendamtes berücksichtigt wurden.

Der Unterausschuss beriet die Verteilung der 44 Stellen für die Fachkräfteförderung und legte dies dem Jugendhilfeausschuss zum Beschließen vor. Der Vorschlag fand nur geändert die Mehrheit. Einige Träger mussten erhebliche Kürzungen hinnehmen, dann aber wurden über Nacht vom Landrat zusätzliche Mittel bereitgestellt und auch von ihm wurde festgelegt, für welche Träger, unter anderem für einige, die bewusst keine Fachkraftförderung bekamen. Woher das Geld kommt ist bisher nicht bekannt. Nicht bekannt ist allerdings auch, wo die im letzten Kreistag am 18.12.2013 zusätzlich beschlossenen 250.000 € eingesetzt werden sollen, wie und wann dieser Beschluss umgesetzt wird: Ich weiß es bis heute noch nicht.
Ich kann diese Art des Umgangs mit Beschlüssen nicht nachvollziehen. Nachforderungen beim Bau des Landratsamtes oder bei der Straßenunterhaltung beschließen wir regelmäßig fast kommentarlos. Auch bei den Hilfen zur Erziehung. Nur bei der sogenannten präventiven Jugendhilfe wird gemauert.
Dabei handelt es sich – das will ich noch einmal deutlich betonen – eben nicht um freiwillige Aufgaben. Nach Gesetz des Sozialgesetzbuches VIII ist ein angemessener Anteil für Jugendarbeit vorzuhalten – und was angemessen ist, legt nun mal der Kreistag oder der Jugendhilfeausschuss per Beschluss fest.
Und wenn wir gerade bei der Art des Umgangs sind:
Ich war im Kreis NOL Mitglied im Jugendhilfeausschuss. Dort arbeiteten die Träger miteinander und stritten um die Sache.
Jetzt sieht jeder Träger zu, dass er die eigenen Pfründe sichert und nicht vorgehalten bekommt, wir leben nicht in Absurdistan oder Redebeiträge werden willkürlich unterbrochen, Redner korrigiert oder Mitgliedern wird das Abstimmungsrecht abgesprochen.
Weil eine Klärung im Ausschuss nicht mehr möglich ist, streitet man sich vor Gericht.
Gesetzlich vorgeschrieben ist der Unterausschuss Jugendhilfeplanung. Jedoch musste ich mehrfach feststellen, dass dem dortigen Beschluss nicht gefolgt wurde und ich mich frage, ob dieser Unterausschuss noch einen Sinn macht.
Ich dachte eigentlich, wir alle ziehen bildlich gesprochen an einem Strang. Im Interesse unserer Kinder und Jugendlichen, für unsere Zukunft im gesamten Kreis.“

Als 2. Redner unserer Fraktion sprach Prof. Dr. Manfred Klatte. Er schilderte vor allem die Problemlagen bei der Heimerziehung und Inobhutnahme, wenn andere Maßnahmen nicht mehr greifen. Dann ging er auf die Ursachen und politischen Verantwortlichkeiten dieser Entwicklung ein. Er sagte:
„Die Statistik zeigt eines ganz deutlich und untrügerisch: die zunehmenden sozialen Verwerfungen, genauer eigentlich den zunehmenden sozialen Niedergang von Teilen einer gesellschaftlichen Schicht. Und da verwundert es schon, wenn Ministerpräsident Tillich in seiner Laudatio für Herrn Barroso auf dem Semperopernball 2014 die Lage im Freistaat als „blendend“ bezeichnet. Ein gewisser Verlust des Realitätsbewusstseins ist da nicht auszuschließen. Die Sozialwissenschaft beschreibt den sich hier vollziehenden Prozess so: ‚Die steigenden Fallzahlen … sind in einer Verbindung zu den sich verschlechternden sozioökonomischen Lebenslagen für Familie und den brüchiger werdenden Familienkonstellationen zu sehen.’
In einem Artikel im Spiegel vom 30.12.2013 wird als Folge dieses Negativtrends mit Bezug auf die Tätigkeit von Sozialarbeitern formuliert: ‚Aus der ehemaligen Fürsorge für gestrandete Kinder ist ein Reparaturbetrieb für die auseinanderdriftende Gesellschaft geworden. Kinder sind die ersten Opfer der Probleme Erwachsener: Schulden, Sucht, psychische Erkrankungen, exzessiver Medienkonsum.’ An dieser Stelle ist es angesagt, allen Sozialarbeitern, egal, wo sie tätig sind … hohes Lob und Anerkennung für ihre Professionalität und ihr Engagement für das Kindeswohl zu zollen…
Die negative soziale Entwicklung kostet die Gesellschaft jährlich mehr Geld…. Wenn, wie der Landrat in einer Sitzung des JHA erklärte, die jährlichen Steigerungsraten der Ausgaben für die Jugendhilfe bundesweit 10% betragen, so wären das in unserem Landkreis eben etwa die 3,5 Mio. Euro, die uns fehlten – und uns im nächsten Jahr wieder fehlen werden, weil die soziale Schieflage andauern wird. Wenn das so sein wird, und die Regierung im Freistaat diese Entwicklung nicht stoppen können wird, dann muss sie zumindest die Finanzen für die Jugendhilfe vom Kopf auf die Beine stellen, das heißt Erhöhung der jährlichen Schlüsselzuwendungen um mindestens 10%… Die CDU als regierende Partei in unserem Freistaat muss doch die Gefährlichkeit dieser Entwicklung für den sozialen Frieden im Land und die Handlungsfähigkeit der stattlichen Verwaltungen erkannt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die zu unserem Hause gehörenden politischen Schwergewichte wie der Generalsekretär der Landes-CDU, Herr Kretschmer, und der Bildungspoltische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Herr Bienst, den Ernst der Situation nicht sehen. Bitte nehmen Sie ihre persönliche Verantwortung und die Verantwortung ihrer Partei zur Befriedung der gravierenden Probleme in der Jugendhilfe wahr. Dazu gehört m. E. auch die Rücknahme der Kürzung der Jugendpauschale. Den Freien Trägern der Jugendhilfe in unserem Kreis muss eine solide präventive Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gewährleistet werden, die nun schon zweimal erfolgte Kürzung von VZÄ im Bereich Jugend- und Jugendsozialarbeit kann und muss rückgängig gemacht werden, um der vorausschauenden Sozialarbeit wieder die notwendige Wichtung zu sichern. Es geht um das Wohl unserer Kinder, um unser aller Zukunft.“

Auch die Redner von Freien Wählern, SPD und Bündnis 90/Die Grünen machten ihrem Unbehagen Luft und forderten von Landrat und Verwaltung endlich eine andere Problemsicht. Die Verwaltung hatte 2 Anträge vorbereitet, die sie zurückzog, weil sich keine Mehrheit abzeichnete. Denn ein Bündnis aus Freien Wählern, DIE LINKE, SPD und Bündnis 90/Die Grünen hatte einen eigenen Antrag vorbereitet. In ihm wird die Auflösung der Defizitsicht in der Kinder- und Jugendarbeit, eine Erhöhung der Qualität des Planungsprozesses, ein Finanzmoratorium, die Aufwertung der inhaltlichen Arbeit des Jugendhilfeausschusses und eine Verbesserung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit im Ausschuss gefordert. Nun brach bei der CDU und der Verwaltung Panik aus. Man fühlte sich übergangen, zu Unrecht kritisiert und überhaupt: Seit wann könne denn die Opposition Anträge stellen ohne den Segen der CDU? Um die Wogen zu glätten einigte sich der Kreistag, dass der Antrag auf dem Kreistag im Juni (nach der Kommunalwahl) behandelt wird und der Landrat Zeit hat, sich mit den Details zu beschäftigen. Man darf echt gespannt sein, was dabei herauskommt. Eines hat sich jedoch gezeigt, wenn die Opposition zusammenhält, kann sie ihre Mehrheit nutzen, um die CDU in die Schranken zu weisen. Und das ist gut so.